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Dresden macht Theater um Pegida und nimmt Max Frisch als Paten


Von Jörg Schurig, dpa


/ 27.11.2015 / Graf Öderland mit der Axt in der Hand: Das Dresdner Staatsschauspiel
nimmt einen Text von Max Frisch als Parabel für verlorenen Glauben an
die Demokratie. Pegida spielt darin mehr als eine Nebenrolle.

Dresden (dpa) - Nein, Öderland will der Regisseur Volker Lösch nicht
im Elbtal bei Dresden im Osten der Bundesrepublik Deutschland
verorten. Öderland ist vielmehr ein Synonym für Unzufriedenheit mit
dem eigenen Leben, das nicht die Freiheit ermöglicht, die man sich
erträumt. Wenn das Dresdner Staatsschauspiel an diesem Samstag «Graf
Öderland» von Max Frisch auf die Bühne bringt, wird es hochpolitisch.
Lösch hat dem Stück einen zweiten Titel beigefügt: «Wir sind das
Volk.» Dahinter verbergen sich die selbst ernannten «Patriotischen
Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes», die den Spruch aus
der Wendezeit gern im Munde führen, auch wenn sie nicht den Großteil
der Gesellschaft verkörpern.

Seit gut einem Jahr muss Dresden mit Pegida leben, hier entstand die
Bewegung. Anfangs wurde sie als Bündnis «besorgter Bürger»
wahrgenommen. Doch die Zeit der Unschuld ist lange vorbei. Pegida hat
sich radikalisiert und gilt heute als offen islam- und
fremdenfeindlich. Gegner halten den Pegidisten um ihren mehrfach
vorbestraften Anführer Lutz Bachmann Hetze gegen Ausländer vor und
machen sie für Übergriffe auf Flüchtlinge mitverantwortlich. Pegida-
Anhänger wiederum fühlen sich zu Unrecht in die rechte Ecke bestellt,
obwohl sie ausländerfeindliche Parolen hemmungslos und lautstark
bejubeln. Es war eine Frage der Zeit, bis Pegida im Theater landet.

Volker Lösch, der sich als politischer Theatermann oft in
gesellschaftliche Debatten einschaltet, musste nur noch nach einem
passenden Stück suchen, mit dem er an Pegida andocken konnte. Erst
hatte er Arthur Millers «Tod eines Handlungsreisenden» im Blick.
Allerdings spielte hier der Verlag nicht mit. Und auch Max Frischs
«Biedermann und die Brandstifter» hätte sich trefflich geeignet. Doch
dieses Stück hatte Lösch erst im Vorjahr in Basel inszeniert. Deshalb
nahm er sich die Geschichte um «Graf Öderland» vor, die von Max
Frisch in den fünfziger Jahren verfasst wurde und die vom
alptraumhaften Aufstieg eines Populisten erzählt. Ein Mann, der auf
Zukunftsangst und Unzufriedenheit seiner Mitmenschen bauen kann.

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Chefdramaturg Robert Koall verweist darauf, dass sich Themen rund um
Pegida durch den Spielplan der ganzen Saison ziehen - von Lessings
«Nathan der Weise» bis hin zu Kleists «Michael Kohlhaas». Im engeren
Sinne sei «Graf Öderland» aber ein Abschluss mit dem Phänomen Pegida,
dass für Koall weit größer ist als die mittlerweile wieder
überschaubare Menschenmenge auf dem Dresdner Theaterplatz, dem
bevorzugten Aufmarschgebiet der Pegidisten: «Das größere Problem
liegt darin, dass diejenigen, die nicht zu Pegida gehen, keine
Pegida-Gegner sind.» Dieser Umstand mache das Stadtklima aus. Koall
ist frustriert über die «Trägheit der Masse» in Dresden.

Das wurmt auch Regisseur Lösch. Dass Pegida in Dresden auf so wenig
Gegenwehr stößt, hält er für ein gravierendes Dilemma. Nun ist er
gespannt darauf, wie die bürgerliche Mitte in der selbstverliebten
Residenzstadt auf sein Stück reagiert. Eine Kostprobe bekam er schon
bei einer öffentlichen Probe am Dienstag. Da hat er es hinter sich im
Publikum zischen hören, so nach dem Motto: Stimmt ja gar nicht. Das
Problem: Jedes Wort auf der Bühne stimmt. Denn Lösch lässt seine
Schauspieler außer Text von Max Frisch und persönlichen Bekenntnissen
ausschließlich Dinge sagen, die auf Pegida-Kundgebungen nachweislich
zu hören waren oder aus anderen sicheren Quellen stammen.

Als Sprachrohr nutzt Lösch dazu den «Dresdner Bürgerchor» - ein
Laienensemble, das er erstmals 2003 bei der «Orestie» des Aischylos
auf die Bühne brachte und seither immer wieder in Inszenierungen
auftreten ließ. Der Sprechchor artikuliert all jene diffusen Ängste,
die bar jeder Logik jede Woche bei Pegida zu hören sind und ihren
Wahrheitsgehalt nicht selten aus kruden Verschwörungstheorien
beziehen. Tatsächlich geht in der Pegida-Gemeinde beispielsweise die
Sorge um, dass die Deutschen schon in wenigen Jahren kein
Weihnachtsfest mehr feiern dürfen, weil dann bereits die Muslime
regieren und hierzulande alles voller Moscheen steht.

Für Koall ist «Graf Öderland» dennoch kein «Stück über Pegida»: «Es
ist eine mit dokumentarischem Stoff durchzogene Parabel darüber, was
passiert, wenn der Glaube an eine demokratische Ordnung verloren geht
und eine Gesellschaft sich radikalisiert», sagt er. Solange Pegida
jeden Montag nahe am Schauspielhauses vorbeilaufe, werde man weiter
im Sinne eines «Gegengeistes» Theater machen. Koall wünscht sie wie
der aus Dresden stammende Journalist und Buchautor Peter Richter
einen neuen «Genpool» für die Stadt: «Wir brauchen mehr Leute von
draußen mit anderen Erfahrungshorizonten.» Leute, die in Dresden
leben wollen, weil es trotz allem eine der tollsten Städte sei.


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