Kauder: "Wir dürfen nicht einfach zusehen"
/11.07.2013/ Der Vorsitzende der CDU/CSU-
Der Namensartikel in voller Länge:
Wir werden Zeugen von dramatischen Ereignissen in Ägypten, die in ihrer Wucht sogar die Revolution vor zwei Jahren übertreffen könnten. Wie es in dem Land nach diesen verstörenden Umwälzungen innerhalb weniger Tage weitergeht, ist kaum noch vorherzusagen.
Bis zum Freitag, als die Muslimbrüder auf die Straße gingen und die Macht mit dem Aufruf zum Kampf wieder für sich beanspruchten, konnte man noch die Hoffnung haben, dass sich die Dinge in Ägypten am Ende eines vielleicht längeren Weges doch zum Guten wenden könnten. Die Entmachtung des frei gewählten Präsidenten Mursi durch das Militär konnte ein Demokrat zwar nie gutheißen. Doch entsprach dieser Umsturz andererseits offenkundig dem überwiegenden Volkswillen. Das legten die Bilder der jubelnden Menschen zumindest nahe.
Der Vorgang war also ambivalent: Es war zu verstehen, wenn viele die Ereignisse dennoch als schweren Rückschlag für die Demokratie bewerteten, da Mursi vom Volk in sein Amt gewählt worden war. Und doch eröffnete dieser Umsturz für den Betrachter neue Chancen für die Demokratie in Ägypten. Es schien für Stunden die Möglichkeit für eine wahre Aussöhnung aller Ägypter zu geben und für eine dauerhafte Demokratisierung des Landes, die allen Bevölkerungsgruppen dient und die Rechte aller Ägypter wahrt.
Nutznießer hätten dabei nicht zuletzt die Christen sein können, die mir in den vergangenen
zwei Jahren in Ägypten in vielen Gesprächen ihre Sorgen anvertraut haben. Die Christen
in Ägypten schöpften jedenfalls in diesen Stunden neuen Mut, wie ich hörte. Diesen
Mut hatten sie unter Mursi immer mehr verloren. Sie drohten das erste Opfer der Islamisierung
Ägyptens durch die Muslimbrüder zu werden.
Doch nun könnte die Gewalt die Oberhand
gewinnen. Die Muslimbrüder suchen scheinbar die offene Konfrontation mit dem Militär
und den Bürgern, die sich gegen die Islamisierung Ägyptens wenden oder einfach von
Mursi und seiner Regierung enttäuscht sind. Die Gesellschaft ist tief gespalten.
Der Eindruck, den der flüchtige Besucher Kairos schon Anfang des Jahres gewinnen
konnte, manifestiert sich nun auf den Straßen in Form von Gewalt. Ägypten könnte
Schauplatz eines Bürgerkrieges werden. Es sei denn, das Militär greift brutal durch.
Doch auch dies müsste jeden in Europa und im Westen erschrecken. Zu befürchten ist
auf Fälle, dass sich ein Teil der Muslimbrüder radikalisiert und in den Untergrund
geht.
Es ist zu hoffen, dass das Militär nicht überreagiert und dennoch die Lage in den
Griff bekommt. Mitte der Woche war es bemüht, sich nicht nur als Ordnungsmacht, sondern
auch als Moderator der Gesellschaft darzustellen. Es übernahm nicht formell die Führung
des Landes, sondern gab sie an den obersten Verfassungsrichter des Landes Adli Mansur
weiter, der als Interimspräsident eingesetzt wurde. Die Militärspitze um General
Abd al-
Unter ihnen waren Friedensnobelpreisträger Mohammed al-
Was kann gegenwärtig Deutschland, die EU und der gesamte Westen tun? Ich glaube,
wir dürfen nicht einfach zusehen, wie Ägypten ins Chaos versinkt. Es sollten alle
Versuche unternommen werden, mäßigend auf die verschiedenen Gruppen einzuwirken –
auch auf das Militär. Wir sollten versuchen, uns mit den Mitteln der Diplomatie einzumischen.
So sollte vonseiten der EU schnellstmöglich das Gespräch mit der Übergangsführung
aufgenommen werden. Nur so kann Europa Einfluss auf die Entwicklung nehmen, die sich
unmittelbar vor seiner Haustür abspielt.
Natürlich bleibt der äußerst schale Beigeschmack
eines illegitimen Umsturzes. Es darf aber gerade wegen der explosiven Situation in
Kairo keine Zeit des Schweigens geben. Jetzt ist die Zeit der Gespräche. Gleichzeitig
muss auch der Versuch unternommen werden, über die arabischen Länder auf die Muslimbrüder
einzuwirken. Saudi-
Den Militärs muss deutlich gemacht werden, dass auch nach dem Freitag Ägypten keine
Armee-
Die ägyptische Wirtschaft wächst zwar. Doch reicht dies nicht, um die dringendsten
wirtschaftlichen Probleme Ägyptens – Armutsbekämpfung und hohe Arbeitslosigkeit –
zu lösen. Die Bevölkerungszahl steigt rasant. Das Land ist geprägt von starken Gegensätzen
zwischen Arm und Reich sowie zwischen Stadt und Land. Die Armutsquote ist hoch: 40
Prozent der Ägypter leben von unter zwei US-
Deutschland engagiert sich heute schon in der beruflichen Ausbildung. Meines Erachtens muss der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit aber noch stärker auf diesen Aspekt ausgerichtet werden, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat. Das gilt auch für die Hilfen unserer Freunde. Wenn ich zum Beispiel von den enormen Militärhilfen der USA höre, frage ich mich, ob zumindest nicht ein Teil der Gelder besser angelegt wäre, wenn sie in Ausbildungsplätze und den Aufbau einer mittelständischen Wirtschaft fließen würden. Auf alle Fälle sollten zunächst keine Mittel gekürzt werden.
Diese Tage könnten die Entwicklung der gesamten Region beeinflussen. Noch ist offen, ob das Projekt, ein Land politisch schleichend auf Kosten von anderen Religionsgemeinschaften und der demokratischen Kräfte zu islamisieren, wirklich gescheitert ist. Wer wie wir für die Freiheit der Religionen und die Freiheit der Menschen insgesamt eintritt, muss hoffen, dass die Muslimbrüder einlenken. Dann gäbe es für alle Ägypter die Chance auf eine bessere Zukunft.
Der Namensartikel ist am 07. Juli in der Welt am Sonntag erschienen
Źródło: www.cdu.de