Wenn das Musterland der Stabilität ins Wanken gerät
Von Verena Schmitt-
/22.11.2017/ Ausgerechnet Deutschland bekommt die Regierungsbildung nicht auf die
Reihe.
Und das in unsicheren Zeiten. Bringt die Hängepartie im
wirtschaftsstärksten EU-
Berlin/Brüssel/Paris (dpa) -
ruhende Pol in
der Mitte Europas. Für viele verlässlicher Partner,
für einige auch ungeliebter Zuchtmeister,
aber doch immer zumindest
berechenbar. Und nun Deutschland als Wackelkandidat ohne
stabile
Regierung? Dauerkanzlerin Angela Merkel angeschlagen und ohne eigene
Mehrheit?
Das erwischt die Partner in der Europäischen Union und der
internationalen Gemeinschaft
kalt. Viele machen sich Sorgen.
Wie reagieren die EU-
Ungläubig bis sprachlos. Brüssel habe die deutsche Politik schon vor
der
Bundestagswahl stiefmütterlich behandelt und sich darauf
verlassen, dass am Ende doch
immer eine europafreundliche Regierung
so weiter mache wie bisher, sagt Guntram Wolf
von der Brüsseler
Denkfabrik Bruegel. «Man hat sich verschätzt in Brüssel.»
Tatsächlich hielten sich viele Politiker und Diplomaten nach dem
Jamaika-
offiziell ihr Vertrauen in die verfassungsmäßige
Ordnung und die
Stabilität in Deutschland. Unter der Hand sagten Diplomaten, es sei
zu
früh, die Lage exakt einzuschätzen. Luxemburgs Außenminister Jean
Asselborn meldete
sich in der «Welt» fast trotzig zu Wort:
«Deutschland ist das letzte Land, das es
sich leisten kann, in
Regierungsinstabilität zu verfallen. Seine Rolle in der Welt
und in
Europa verbietet dies.»
Inwieweit ist die Handlungsfähigkeit Deutschlands in
der Außenpolitik
tatsächlich eingeschränkt?
Die Regierung Merkel ist seit der konstituierenden
Sitzung des
Bundestags Ende Oktober nur noch geschäftsführend im Amt. In einer
solchen
Phase des Übergangs ist Zurückhaltung geboten -
vor der Nachfolgeregierung,
der man keine Entscheidungen vorwegnehmen
will. Das bedeutet aber nicht, dass der
Politikbetrieb eingestellt
wird. Gerade auf der internationalen Bühne ist Deutschland
ganz
normal bei Ministertreffen und Gipfeln vertreten und ohne Vorbehalt
an Entscheidungen
beteiligt. Allerdings kann eine Regierung, die als
Auslaufmodell gilt, weniger selbstbewusst
auftreten. Bei einer
längeren Hängepartie kann das zum Problem werden.
Warum ist
das gerade jetzt so schwierig?
Die Weltlage scheint seit der Wirtschafts-
dem Brexit-
unberechenbar.
Nur die EU fasste gerade wieder Mut und hatte sich
große Reformen vorgenommen. Mit
einem eng getakteten Gipfel-
wollte sie voranmarschieren und vor der Europawahl
2019 unter anderem
die Eurozone stärken. In Brüssel war vom «Fenster der Gelegenheit»
die
Rede -
Die EU-
Reformprojekten fest. «Europa wird nicht pausieren»,
sagte Junckers
Sprecher Margaritis Schinas am Dienstag. Am 6. Dezember würden -
geplant
-
Ohne funktionierende Regierung in
Berlin seien verbindliche
Entscheidungen in Brüssel nicht möglich, meint Wolf: «Die
Verhandlungen
über die Zukunft Europas sind verschoben.» Diplomaten
schließen nicht aus, dass Deutschland
um Verschiebung des für den 15.
Dezember geplanten Eurozonen-
diskutiert werden sollen. Selbst wenn er stattfindet, dürfte wenig
dabei
herauskommen. Die Hängepartie könnte sich bis Ostern hinziehen,
unkt Olaf Böhnke von
der Beratungsfirma Rasmussen Global.
Wie reagiert Frankreichs Staatschef Emmanuel
Macron auf die
politische Krise in Berlin?
Mit sorgenvoller Miene. Der im Mai gewählte
Senkrechtstarter ist
treibende Kraft hinter der Neuaufstellung der EU und setzt auf
seinen
wichtigsten Partner Deutschland. «Es ist nicht in unserem Interesse,
dass sich
das verkrampft», kommentierte der 39-
der Jamaika-
allem Merkel. Er habe sich bereits am Sonntagabend
mit der Kanzlerin
ausgetauscht, verlautete aus der Pariser Machtzentrale.
Warum steht
Macron in der Europapolitik so unter Druck?
Der sozialliberale Ex-
gegen die Rechtspopulistin und Europafeindin Marine Le Pen
durch. Nun
muss er rasch liefern und zeigen, dass Europa seinem von hoher
Arbeitslosigkeit
gebeutelten Land konkrete Vorteile bringt. Er
braucht für eine Kursänderung unbedingt
Berliner Unterstützung. «Wir
wünschen für Deutschland und Europa, dass unser wichtigster
Partner
stabil und stark ist, um gemeinsam voranzuschreiten», verlautet
deshalb aus
Élyséekreisen.
Wird Macron wegen der Turbulenzen in Deutschland vom Gaspedal gehen?
Damit ist kaum zu rechnen. Auf europäischer Ebene wird er Frankreichs
Interessen weiter
knallhart vertreten. Im Kampf gegen Sozialdumping
setzte Paris bereits eine Änderung
der EU-
und feierte das als großen diplomatischen Erfolg.
Auch in der
Außenpolitik schafft Macron Fakten. Er lud den rücktrittswilligen
libanesischen Regierungschef
Saad Hariri nach Paris ein -
ermöglichte es in der Krise um das fragile Nahostland
dem großen und
reichen Saudi-
gegen
Riad gegeben, der 47-
festgehalten worden.
Paris und Berlin sprachen in den vergangenen
Tagen sichtbar nicht dieselbe Sprache
-
wetterte in Berlin über außenpolitisches «Abenteurertum»
der Saudis.