POLITYKA   Komentator. Europa-Niemcy-Polska  
reklama
reklama
reklama

«Unser Mädchen»: Moskau macht mit angeblicher Vergewaltigung Stimmung

Von Thomas Körbel und Wolfgang Jung, dpa


/ 28.01.2016/ Spekulationen um eine 13-Jährige sind zum Politikum zwischen Moskau und Berlin geworden. Russlands Staatsmedien zeichnen seit Wochen ein
düsteres Bild von der Flüchtlingskrise in Deutschland. Gelten die
Angriffe am Ende der Kanzlerin?

Moskau (dpa) - Über die Flüchtlingskrise in Deutschland schüttelt der
Chef der russischen Migrationsbehörde nur verständnislos den Kopf.
«Undenkbar» sei das in Russland, meint Konstantin Romodanowski: «Wir
haben eine Grenze, die von Soldaten prächtig beschützt wird.» Wenn
Deutschland jetzt noch den Familiennachzug erlaube, sei das quasi der
Untergang des Abendlandes: «Da kommen pro Flüchtling nicht nur drei,
sondern gleich 20 Menschen nach», meint er.

Romodanowski ist kein Einzelfall. Seit Wochen äußern sich «besorgte
Bürger» in Russlands Staatsmedien über den Zustand des Westens. Auf
deutschen Straßen werde nur noch Arabisch gesprochen, ist dort etwa
zu hören. Aber die angebliche Vergewaltigung einer russlanddeutschen
13-Jährigen in Berlin sorgt mit Abstand für den größten Wirbel, auch
in Deutschland - spätestens, seit der russische Außenminister Sergej
Lawrow den deutschen Behörden Versäumnisse vorgeworfen hat.

reklama












Ereignisse wie mit «unserem Mädchen», der Russlanddeutschen aus
Berlin, dürften sich nicht wiederholen, mahnt Lawrow bei einer im
Fernsehen übertragenen internationalen Pressekonferenz. Gefragt wurde
er zu dem Fall übrigens nicht direkt. Gerade deshalb birgt Lawrows
ungewöhnliche Einlassung diplomatische Brisanz - sonst nämlich
verbittet sich Russlands Chefdiplomat seinerseits vehement eine
Einmischung in innere Angelegenheiten.

Die Bundesregierung reagiert prompt. Es verbiete sich, «diesen
Vorfall politisch zu instrumentalisieren», urteilt Regierungssprecher
Steffen Seibert. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagt, er
sehe keinen Grund und keine Rechtfertigung, den Fall dieses
13-jährigen Mädchens für «politische Propaganda» zu nutzen, um damit
die ohnehin schwierige Migrationsdebatte in Deutschland anzuheizen.
Er könne den Behörden in Moskau nur raten, sich auf den Stand der
Ermittlungen in diesem Fall zu beziehen und nicht auf spekulative
Medienberichte.

Aus russischer Sicht ist der Fall klar: Die 13-Jährige sei in Berlin
von Migranten entführt, stundenlang vergewaltigt worden - und die
deutschen Behörden täten nicht genug, um den Fall zu klären, heißt es
in den gelenkten Staatsmedien. Wie einen Helden feiert das Moskauer
Boulevardblatt «Komsomolskaja Prawda» daher Lawrow für seine offenen
Worte.

Beobachter in Russland vermuten, dass sich die Propagandamaschinerie
die Flüchtlingskrise zu Nutzen machen soll, um Unruhe in Deutschland
zu stiften. Gerade die große russischsprachige Minderheit, die über
Satellit und Internet russische Nachrichten verfolgt, soll sich
demnach dafür gut eignen. Bereits am Wochenende demonstrierten
Tausende Russlanddeutsche gegen angebliche «Gewalt durch Migranten».

Der kremlkritische Journalist Oleg Kaschin ist überzeugt, dass das
Mädchen in Berlin nichts als ein Propagandainstrument für Russland
ist. Die Logik des Führung in Moskau geht demnach so: «Wir haben
bewiesen, dass begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berliner
Polizei bestehen - und das bedeutet, dass es auch Gründe gibt, an
anderen Dingen zu zweifeln», erklärt Kaschin.

Zwar betont Lawrow das gute Verhältnis zur Bundesregierung. Doch
allen ist klar: Die westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise
haben die Stimmung zwischen Moskau und Berlin vergiftet.

Russland würde die Strafmaßnahmen gerne abschütteln, um seine wegen
des niedrigen Ölpreises darniederliegende Wirtschaft anzuschieben.
Besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt aber in Moskau als
Verfechterin des «Sanktionsjochs». Kremlchef Wladimir Putin nutzt
seit Monaten jede Chance, um Merkel-Kritikern eine Bühne zu geben.
Schon kommende Woche empfängt das Staatsoberhaupt einen von Merkels
schärfsten innenpolitischen Widersachern: den bayerischen
Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

Sägt Putin gar an Merkels Stuhl? Die Regierungszeitung «Rossijskaja
Gaseta» schrieb schon kurz nach den Übergriffen in der Silvesternacht
in Köln von einem möglichen «Anfang vom Ende» der Kanzlerin.

An der Glaubwürdigkeit der Vergewaltigungsberichte zweifelt indes
auch das regierungskritische russische Magazin «The New Times».
«Woher haben erst kürzlich angekommene Flüchtlinge aus dem Nahen
Osten zum Beispiel ein Auto und einen Führerschein sowie eine
Wohnung? Das ist alles ausgeschlossen», meint das Moskauer Blatt.

Wenn die Staatsmedien solche Lügen in Russland verbreiteten, sei das
eine Sache. Sie in einem anderen Land zu verbreiten, in dem Lügen
noch nicht als normal angesehen würden, sondern als unanständig und
beleidigend, sei aber etwas völlig anderes, kritisiert «New Times».


Category Banner
175x175_V02.gif
eDarling PL